Donnerstag, 26. April 2018

Cur fugit ille nitor? - Quis fuit ille nitor?

Bis vor kurzem habe ich Sedulius, einen Autor aus dem 5. Jahrhundert, nicht gekannt. Doch mittlerweile schätze ich ihn ob seiner Originalität. Leider muss man sich bis heute doch die Arbeit machen, ihn zu übersetzen, wenn man ihn kennenlernen möchte. Aber immerhin besteht, wenn man es an den Publikationen der letzen Jahre misst, doch ein wissenschaftliches Interesse an ihm.

Wenn man die oben genannten beiden Fragesätze ansieht, kann man eine Ähnlichkeit wohl kaum bestreiten. Der Zusammenhang dazu ist beeindruckend originell. Vielleicht würde eine allzu fromme Seele heutiger Tage bei dem Vergleich distanzierend die Augenbrauen hochziehen. Andererseits hat solcherart zielgerichtet getroffene Wortwahl, entlehnt und mit Bedacht umgeformt, das Carmen Paschale des Sedulius durch die Jahrhunderte so attraktiv gemacht, denn eine kontrastierende Zitierweise aufgrund ähnlicher Sinnzusammenhänge ist kein Einzelfall im Werk. (1)

Der erste der beiden Fragesätze entstammt der Fabel Nr. 53 des Äsopius Latinus (2), der zweite ist die entsprechende Umformung bei Sedulius (3). In der Fabel geht es um ein arrogantes Pferd, das als glanzvoll-prächtige Erscheinung einen beladenen Esel fast überrennt und auch noch demütigt. Beide begegnen sich wieder, als das Pferd nur noch den Status eines Ackergauls fristet, und der Esel stellt jene Frage nach dem warum? Treffender kann man einen sozialen Abstieg wohl kaum in einer Frage beschreiben.

Bei Sedulius geht es gewissermaßen auch um einen 'sozialen' Abstieg, um ein Verarmen. Doch diesmal geschieht - theologisch gesprochen - genau das Gegenteil. In Liber II, 49 besingt Sedulius den Glanz des neugeborenen Christus mit einer Klimax (lux-nitor-splendor) und zitiert dann noch Psalm 19, den Sonnenglanz. Und er führt im Nachgang die Armut des Gottessohnes, den Philipperbrief zitierend, aus. Hier stehen Armut und Glanz glorifizierend nebeneinander. Man kann den 'geklauten' Vergleich des Sedulius skurril oder mutig finden. Für seine Aussageabsicht, die Selbsterniedrigung Gottes zur Erlösung des Menschen, ist er nur logisch, zumal ihn damals jeder verstand.

Dies könnte bloß Literatur des 5. Jahrhunderts sein und damit nichts mit dem Thema dieses Blogs zu tun haben. Fehlanzeige! Eben dieser Sedulius war im 12. Jahrhundert hochgeschätzt. Man sollte schon davon ausgehen, dass dieser spätantike Dichter für die Liturgie des Hochmittelalters - und hier gerade auch in den Frauenklöstern (z.B. die Reminiszenzen im Speculum Virginum) - eine ernstzunehmende Größe war. Warum nicht mal lesen, was unsere Vorfahren so lasen?

1   Vgl. Carl P. E. SPRINGER (Übersetzer und Kommentator), Sedulius, The Paschal Song and Hymns, Society of Biblical Literature, Writings from the Greco-Roman World, Bd. 35, Atlanta 2013, Introduction S. XXX.

2    Georg THIELE , Der lateinische Äsop des Romulus und die Prosa-Fassungen des Phädrus. Kritischer Text mit Kommentar und einleitenden Untersuchungen, Hildesheim, Zürich, New York, Olms-Verlag, 1985, Nachdruck der Ausgabe Heidelberg 1910, 166 - 172, Nr. 53 ( Buch III, Fabel III).

3   SEDULIUS , Opera omnia, herausgegeben von Johannes H UEMER , ergänzt von Victoria PANAGL, Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Band 10, Wien, Österreichische Akademie der Wissenschaften, ²2007, Liber II, 49.