In
ihrer siebten Übung "Wiedergutmachung der Sünden und Vorbereitung auf den
Tod" sagt Gertrud von Helfta:
Wenn du feierlich begehst, dass
dir alles wieder gutgemacht wird, so wie zuvor gesagt, dann bete am selben Tag
zur Mittagszeit zum Herrn, dass er dich hineinführe in den Lustgarten seines
göttlichen Herzens, dass du dich dort
siebenmal wäschst im Jordan der Verdienste seines Lebens und Leidens. Gänzlich
gereinigt von jedem Makel, sollst du dann an dem Tage, der dein irdisches
Dasein abschließt, in voller Schönheit hineingeführt werden in das Brautgemach
seiner göttlichen Liebe.[1].
Auch
wenn hier nicht explizit erwähnt, so kommt man doch weder in den Lustgarten,
noch ins Brautgemach, ohne eine Pforte zu passieren. Der Gedanke des Hineingeführt-werdens,
der Wunsch, diese letzte Tür zu passieren, hat gerade die romanischen Portale
von Kirchen und besonderen Räumen zu Werbeflächen endzeitlicher Hoffnung werden
lassen. So verwundert es nicht, dass über den Kirchtüren oft apokalyptische
Motive dargestellt wurden. Christus als Weltenrichter schmückt in seiner
Majestät die Westfassaden vieler benediktinischer Klosterkirchen. Er ist der,
der hineinführt in den paradiesischen Raum, der im genannten Text der Helftaer
Zisterzienserin als Lustgarten und Brautgemach beschrieben wird. Er, Christus,
hat nicht nur den Schlüssel, er selbst ist die Tür und der Begleiter durch die
Tür.[2]
Und in dieser Rolle übersetzt der Werkmeister an den Portalen der Kirchen, die
überirdische Hoffnung in seiner Bedeutung für den irdischen Lebensvollzug eines
gläubigen Christen. Die zisterziensischen Portale sind naturgemäß schlichter
als die der benediktinischen Geschwister und bisher in ihrer Gestaltung nur in
Einzelfällen beschrieben und untersucht. Noch weniger ist bekannt, wie die frühen
Zisterzienserinnen ihren oben beschriebenen Lebensinhalt sichtbar machten. Doch
auch sie haben ihrer Gedankenwelt Ausdruck verliehen. Die vielfach
vorherrschende These, dass ein weltlicher Bauherr oder ein männlicher Vertreter
des Ordens für die gesamte architektonische und plastische Gestaltung eines
Frauenklosters verantwortlich gewesen wäre, lässt sich nur allzu leicht
betonen, wenn man dabei übergehen möchte, dass es flächendeckende
Untersuchungen und Monographien für viele Klosterbereiche - wie beispielsweise
auch im Falle einer Tympanongestaltung - bisher noch gar nicht gibt.[3]
Über dem Portal der Wechterswinkler Kirche befindet sich unter
einem fünffach abgestuften Schachbrettgesimsband eine Kreuzigungsdarstellung[4],
die Christus in der für die Romanik typischen Siegerhaltung zeigt. Ein einfaches
breites lateinisches Kreuz deutet das Geschehen an. Die Figur steht souverän
und mit majestätisch ausgebreiteten Armen auf einem waagerechten, nach unten abgeschrägten Suppedaneum.
Sie hat schulterlange, gescheitelte Haare und einen Bart, der das Gesicht nur
an der seitlichen Kante des Unterkieferknochens bis zum Kinn umspielt. Das
Gesicht ist glatt und ebenmäßig gearbeitet. Der Blick geht in die Weite und
leicht nach oben. Die Mundwinkel zeigen nach unten,wirken aber eher konzentriert als grimmig. Die Gestalt trägt ein
knielanges, mit einem Band verknotetes Lendentuch, dessen unterer Rand verdoppelt
ist, wodurch es kostbar wirkt. In der Mitte der Hände und Füße (hier nicht mehr
ganz so deutlich) ist jeweils der Nagel zu sehen. Die Seitenwunde befindet sich
auf der rechten unteren Hälfte des Brustkorbs fast im Leberbett. Sowohl rechts als
auch links des Gekreuzigten ist mit einem kleinen Abstand je ein weiteres Kreuz
zu sehen, rechts ein sogenanntes Krukenkreuz, links ein lateinisches Kreuz,
unter dessen Querbalken jeweils rechts und links ein weiteres kleines lateinisches
Kreuz angebracht ist. Die unterschiedliche Darstellung der Kreuze rechts und
links der Christusfigur, wovon dasjenige zu seiner Rechten festlicher wirkt,
scheint den Betrachter in eine Begebenheit der Ereignisse von Golgotha
hineinzuziehen und auf die Bitte des Schächers in Lk 23,42 und möglicherweise
symbolisch auf den Ort Jerusalem hinzuweisen. Das große lateinische Kreuz auf
der linken Seite deutet dann vielleicht nicht nur die Haltung des anderen
Schächers an, durch die Verdreifachung dieses Kreuzes bekommt diese Darstellung
das Aussehen eines christlichen Friedhofs. Das himmlische Jerusalem rechts wird
dem Ort des Todes links gegenübergestellt. Die Hoffnung gebende Schlüsselfigur ist
Christus und sein rettendes Wort: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein
(Lk 23, 43).
Umkehr
im letzten Augenblick, so will es das Portal wohl ausdrücken, ist möglich. Sie
verheißt das Paradies, die himmlische Stadt Jerusalem. Der Moment dieser
Verheißung ist der irdische Tod. Das theologische Programm dieser Klosterpforte
aus der Kreuzzugszeit könnte nicht treffender ausdrücken, zu welchem Zweck sich
die Nonnen dort versammeln und zu welchem erhabenen Ziel sie aufbrechen. Beschreibt
doch auch Bernhard von Clairvaux in einem seiner Briefe über einen
Jerusalempilger den Weg ins Kloster als Abkürzung zu diesem Ziel.[5]
Der Tod an dieser Pforte ist dann die sogenannte Weltverachtung, die Absage an
die Güter und Annehmlichkeiten der Welt. So ist der Tod auch in dieser
Blickrichtung letztendlich nicht freudloses Dasein, sondern eine notwendige
Investition für himmlischen Lohn. Ziel und Inhalt war also nicht der dazu
notwendige Verzicht, die Aufgabe einer statuskonformen Lebensweise. Ein Wohnen
in der heiligen Stadt Jerusalem im Palast des Königs als dessen Braut und
Königin war das Motiv des monastischen Lebens dieser Frauen. Und was kann dies
dann konsequenterweise besser vorwegnehmen als ein einer Vermählung gleichender
Ritus in der Profess, wo die Schwester mit Krone, Schleier und Ring ausgestattet
wurde. Diese Hochzeitsfeier fand im Kapitelsaal statt, der dann folgerichtig im
späteren Bildprogramm seiner Wandgestaltung die Krönung Mariens durch Christus als
Zukunftsvision für jede Nonne haben konnte, eine Darstellung mit der sie sich
selbst identifizieren konnte. Leider hat sich ein solcher Saal in diesem
Kloster nicht erhalten.
Wandmalerei in der Zisterzienserinnenabtei Seligenthal
[1] GERTRUD VON HELFTA, Exercitia
spiritualia. Geistliche Übungen. Lateinisch - Deutsch, hg. von Siegfried
Ringler, (Elberfeld 2001) S. 245, Zeile 590ff.
[2] Vgl. Joh 10,9. Über die Symbolik
der Kirchtür siehe auch: M.M. DAVY, Initiation à la symbolique romane (XIIe
siècle), Flammarion 1977, Reprint Manchecourt 2001) S. 200-202.
[3] Das dabei ins Feld
geführte Argument ist die strenge Klausur, womit offensichtlich klar wird, dass
es nur für Klöster ab dem 2. Drittel des
13. Jahrhunderts gelten dürfte, und auch dies wäre erst noch in den
entsprechenden Einzelfällen zu beweisen. Zu den Tympana der Männerklöster erschien: Fritz ARENS, Die Türstürze und Tympana über Portalen der Zisterzienser und Prämonstratenser, in: Mélanges à la memoire du Père Anselme Dimier (III Architecture Cistercienne, Bd. 5, Arbois 1982) S. 17 - 34.
[4] Zur Beschreibung des
Portals vgl. auch Karl GRÖBER, Die Kunstdenkmäler von Unterfranken &
Aschaffenburg, Bd. 21: Bezirksamt Mellrichstadt, (München 1921) S. 154f.
[5] BERNHARD VON CLAIRVAUX, Brief Nr. 64 an Bischof
Alexander von Lincoln: 1. Philippus vester, volens proficisci Jerosolymam,
compendium viae invenit, et cito pervenit quo volebat. Transfretavit in brevi
hoc mare magnum et spatiosum, et prospere navigans attigit jam littus optatum,
atque ad portum tandem salutis applicuit. Stantes sunt jam pedes ejus in atriis
Jerusalem; et quem audierat in Ephrata, inventum in campis silvae libenter
adorat in loco ubi steterunt pedes ejus. Ingressus est sanctam civitatem,
sortitus est cum illis haereditatem, quibus merito dicitur: Jam non estis
hospites et advenae, sed estis cives sanctorum et domestici Dei (Eph 2,19).
Cum quibus intrans et exiens, tanquam unus e sanctis, gloriatur et ipse cum
caeteris, dicens: Conversatio nostra in coelis est (Phil 3,20). Factus
est ergo non curiosus tantum spectator, sed et devotus habitator, et civis
conscriptus Jerusalem, non autem terrenae hujus, cui Arabiae mons Sina
conjunctus est, quae servit cum filiis suis; sed liberae illius, quae est
sursum mater nostra (Gal 4, 25.26). 2. Et, si vultis scire,
Clara-Vallis est. PL
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