Ein Kirchengebäude
ist nicht bloß ein Bauwerk, eine besonders schöne Kirche daher auch nicht bloß
das Meisterstück einer bestimmten Epoche oder eines berühmten Baumeisters. Als
Wohnung Gottes unter den Menschen und Abbild des himmlischen Jerusalem, war ein
solcher Bau voller Symbolik. Alles zielte darauf ab, den Abglanz einer ewigen
Welt für die jeweilige Gegenwart sichtbar zu machen und den damit verbundenen
tiefen Ernst menschlichen Heilsstrebens zu vermitteln. Wie umfangreich das
theologisch-exegetische Repertoire sein konnte, stellte Joseph Sauer bereits
zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar, als er die verschiedenen mittelalterlichen Autoren
hinsichtlich ihrer diesbezüglichen Ansichten analysierte.[1]
Für den damals
zeitgenössischen Betrachter einer romanischen oder gotischen Kirche, war das durch den Bau
verkündete Wort Gottes kein kryptisches Etwas für Eingeweihte. Es war ihm
direkt zugänglich und in seiner Botschaft verständlich. Wenn also die
endzeitliche Thematik in den Lesungen am Ende des Kirchenjahres nach bildlicher
Darstellung verlangte, so war diese reichlich in Kirchbauten für den Besucher
analysiert und - ihm verständlich - verarbeitet worden. Der Jüngste Tag, die Wiederkunft Christi wie
auch das Endgericht waren damals die Menschen bewegende Szenen, die immer
wieder ins Bild gebracht wurden. Waren in der Romanik noch die Apsiden im
Inneren und außen das Hauptportal die wichtigsten Orte solcher Inszenierungen,
so kam mit den verbesserten Bautechniken im Gewölbebereich in der Gotik ein
weiterer Platz hinzu: Im Kreuzungspunkt von Längs- und Querschiff, inmitten der
Vierung, konnte nun ein gut sichtbarer Schlussstein platziert werden.
Im Epheserbrief (2,20)
ist - dazu passend - der folgende Satz zu lesen: Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut, der
Schlussstein ist Christus Jesus selbst. Eine interessante bildhafte
Umsetzung dieses paulinischen Gedankens findet sich beispielsweise in der
ehemaligen Klosterkirche von Mariaburghausen bei Haßfurt. Dort ist der
endzeitliche Christus auf besondere Weise im Schlussstein dargestellt. Die
nimbierte Büste mit schulterlangem Haar trägt einen ungewöhnlich langen Schnurrbart,
der nach beiden Seiten die Form eines Schwertes hat. Die Spitze des jeweiligen
Schwertes geht vom Mund der Christusfigur aus. Die Szene des die Welt
richtenden wiederkommenden Herrn soll wohl eine Anspielung auf die
Entscheidungsforderung in Mt 10, 34-39 sein. Am Ende – so wollten es diese
Zisterzienserinnen wohl verstanden wissen – zählt nur die aus der Liebe zu
Christus heraus gelebte Beziehung zu den Menschen.
[1] Joseph SAUER, Symbolik des
Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters. Mit
Berücksichtigung von Honorius Augustodunensis, Sicardus und Durandus, (Freiburg
im Breisgau ²1924).